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Begleitung einer stillen Geburt

Lieber anders glücklich. Geschrieben am 22.12.2018.

Ich habe gerade eine Frau begleitet, die ihr Baby verloren hat. In der 19. Schwangerschaftswoche wurde ihr übel und sie bekam ein ungutes Bauchgefühl. Sie erinnerte sich daran, dass sie seit einigen Tagen ihr Kind im Bauch nicht mehr gespürt hatte. Wir telefonierten und ich riet ihr bei ihrem Frauenarzt eine Ultraschallkontrolle durchführen zu lassen; sie war von selbst bereits auf dem Weg dorthin.
Wenige Stunden später erreichte mich ihre Mailbox-Nachricht: Unter Tränen erzählte sie mir, dass der Tod des Babys festgestellt wurde und dass sie bereits eine Überweisung in ein Krankenhaus habe. Sie würde sich jetzt auf den Weg dorthin machen. Seit der Mailbox-Nachricht war bereits einige Zeit verstrichen, da ich in einem Termin war und ich versuchte sie so schnell wie möglich zurückzurufen. Glücklicherweise erreichte ich sie direkt. Ich erklärte ihr, dass sie Zeit habe, dass sie heute gar nichts entscheiden müsse und dass sie aktuell nicht gefährdet ist an einer Blutvergiftung zu erkranken. Wenn sie sich für die Einweisung ins Krankenhaus und eine Einleitung oder operative „Ausschabung“ der Gebärmutter entscheiden würde, könne dies auch an einem der nächsten Tage stattfinden. Auch wenn das Baby im Bauch bereits tot ist, befindet es sich in einer sterilen Umgebung und solange die Fruchtblase intakt ist besteht keine Gefahr. Sie könne also erst einmal nach Hause gehen, sich sammeln und mit ihrem Mann reden. Dass ich sie auch bei ihrer Geburt zu Hause begleiten würde.

Dies war der Anfang einer gemeinsamen Reise die heute nach drei Wochen in der ersehnten Geburt endete. Diese Reise hatte Höhen und Tiefen: die Familie ist alle Phasen der Trauer durchgegangen. Die Suche nach einem Schuldigen wurde von Wut, Verzweiflung, Ablehnung der Realität und Trauer abgelöst. Weihnachten stand an und die Familie empfand diese große Ungewissheit und das Warten als untragbare Zusatzbelastung. Deswegen versuchten wir Geburtswehen mit komplementärmedizinischen Methoden einzuleiten. Dies endete jedoch in einer Nacht  voller Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, sodass kein weiterer solcher Versuch in Frage kam. Letztlich kam die gesunde Annahme der Situation. Das Paar erkannte dies und ging von Tag zu Tag im Kreise der Familie und begleitet von guten Freunden damit um. Der Druck fiel ab.
Heute frühmorgens ist die Fruchtblase aufgegangen. Drei Wochen nach dem Tod des Kindes. Ich habe die Familie bei der Geburt begleitet. Eine stille Hausgeburt. Henry Matteo war 17 cm lang und wog 120 Gramm. Gemeinsam haben wir den kleinen Sohn gebadet, bewundert, ihn in ein selbstgenähtes Tuch gewickelt und in ein Stoffkörbchen in Form eines Bootes gelegt. Wie würdevoll. Wir haben Fotos gemacht. Ich spüre wie heilsam dieser Trauerprozess ist.

Ich bin froh diese Familie begleitet zu haben und mit ihr so eine menschliche, bereichernde Erfahrung teilen zu dürfen. 

Henry Matteo.jpg